29. November 2022 — Berlin, 29. November 2022 - Vor einem Jahr hat die Bundesregierung den Koalitionsvertrag unterzeichnet und Verbesserungen für von Krisen betroffene Menschen weltweit zugesagt. IRC identifiziert drei Politikbereiche mit entsprechenden Forderungen, in denen in der Umsetzung noch Nachholbedarf besteht: Finanzierung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, feministische Außen- und Entwicklungspolitik, und die humanitäre Aufnahme von gefährdeten Afghan*innen.
- Bessere finanzielle Unterstützung für Menschen in Krisenregionen:
- Die begrüßenswerte Aufstockung der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit für 2023 im Bundestag und die damit aktuell verfügbaren Gelder sollten möglichst flexibel und durch lokale Hilfsorganisationen eingesetzt werden, um Menschen so schnell wie möglich zu unterstützen.
- Um den weiter steigenden Finanzbedarf für die Unterstützung von Krisen betroffener Menschen zu sichern, braucht es eine grundlegende Reform. Dafür sollte die Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, die Ziele des Grand Bargain weiterverfolgen und insbesondere die Selbstverpflichtung zur mehrjährigen und flexiblen Finanzierung umsetzen.
- Fokus auf Frauen und Mädchen in Krisenregionen in feministischer Außen- und Entwicklungspolitik:
- Feministische Außen- und Entwicklungspolitik müssen politische und finanzielle Maßnahmen beinhalten, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern und zur Bewältigung der Ursachen von geschlechtsspezifischer Gewalt beitragen.
- Beide Prozesse können nur global wirken, wenn lokale frauengeführte Organisationen eine zentrale Rolle spielen. Die Bundesregierung sollte diese stärker berücksichtigen und einbeziehen.
- Mehr humanitäre Aufnahme von gefährdeten Afghan*innen:
- Aktuell können nur ausgewählte NGOs für bedrohte Personen die Aufnahme beantragen. Der Zugang zu Schutz in Deutschland ist so beschränkt auf die Menschen, die in Kontakt mit NGOs stehen. Dabei sollten die betroffenen Menschen bzw. Deren Unterstützer*innen selbst die Möglichkeit haben, ihren Fall ins System einzugeben, statt dies allein bestimmten Organisationen vorbehalten ist.
- Zurzeit können nur Menschen, die sich noch in Afghanistan aufhalten, eine Aufnahme im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms beantragen. Für akut bedrohte Menschen hat das zur Folge, dass eine womöglich lebensrettende Flucht außer Landes sie von einer Aufnahme in Deutschland ausschließt. Um das zu verhindern, sollten Aufnahmen aus Nachbarländern, beispielsweise über Resettlement-Verfahren, so schnell wie möglich starten.
Ralph Achenbach, IRC Deutschland Geschäftsführer, kommentiert:
„Die Bundesregierung hat sich vor einem Jahr mit dem Koalitionsvertrag zu besonderer Verantwortung verpflichtet, der Rolle als einflussreicher Gebernation, diplomatischer Gestaltungsmacht und Aufnahmeland für Schutzsuchende gerecht zu werden. Ein Viertel der Amtszeit ist vorbei: Um diese Ziele zu erreichen, muss jetzt gehandelt werden.
Um die finanzielle Unterstützung für Menschen in Krisenregionen zu reformieren, muss sich die Bundesregierung aktiv an der Umsetzung und Fortentwicklung des „Humanitarian Development Peace Nexus" und des „Grand Bargain" beteiligen. Die Unterzeichnung des „Grand Bargain Quality Funding Caucus” Ergebnisdokuments wäre ein wichtiger Schritt zu einer mehrjährigen und flexiblen Finanzierung aus Deutschland, um Menschen so schnell wie möglich zu unterstützen.
Wir begrüßen das Engagement der G7 und der Bundesregierung für eine feministische Außenpolitik. Wir von IRC wissen aus Erfahrung, dass lokale Organisationen über unersetzliches Wissen verfügen. Deutsche humanitäre Hilfe muss sicherstellen, dass lokale Frauenorganisationen Teil der ersten Krisenreaktion sind und präventive sowie reaktive Maßnahmen aktiv mitgestalten. Wenn Frauen bei der Ausarbeitung humanitärer Maßnahmen nicht mit am Tisch sitzen, werden ihre Bedürfnisse nur unzureichend berücksichtigt. Die Gleichstellung der Geschlechter und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen in Krisenregionen muss durch gezielte Maßnahmen gefördert werden.
Wir dürfen den Schwung nach der Einrichtung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan nicht verlieren. Mehrere Bundesländer haben Landesaufnahmeprogramme angekündigt. Wir plädieren dafür, dass auch diese Programme schnellstmöglich beginnen. Eine Reform des Ortskräfteverfahrens - wie im Koalitionsvertrag angekündigt - ist absolut notwendig. Auch Menschen ohne direkten Arbeitsvertrag mit einer deutschen Institution müssen berücksichtigt werden. Die Taliban unterscheiden in ihrer Verfolgung nicht nach Vertragsform. Wir dürfen bei der Aufnahme in Deutschland auch nicht zwischen Vertragsformen unterscheiden.”