Berlin, 26. Februar 2022 — Drei Tage nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine sind die Spannungen hoch und die humanitären Bedarfe nehmen weiter zu. Berichten zufolge sind über 100.000 Menschen innerhalb der Ukraine vertrieben worden. Tausende weitere fliehen über die Grenzen nach Polen, Rumänien, Moldawien und andere europäische Staaten.
In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen hat die deutsche Regierung ihre Pläne zur Unterstützung der Ukraine und insbesondere der vertriebenen Bevölkerung bisher klar kommuniziert. Dabei ist es wichtig, nicht nur auf die unmittelbare Situation, sondern auch auf mittelfristige Bedarfe zu reagieren. Jetzt ist der Moment, um die Weichen richtig zu stellen. Hier sind 5 Forderungen an die Bundesregierung:
- Die Bundesregierung soll die humanitäre Aufnahme von Ukrainer*innen in Deutschland vorbereiten. Dies bedarf einer engen Abstimmung mit beteiligten Ländern und Kommunen sowie die Bereitstellung dafür notwendiger Gelder. Die bereits angekündigte Verdoppelung des 90-tägigen EU-Aufenthalts ist ein erster wichtiger Schritt für eine unkomplizierte, kurzfristige Lösung. Eine visafreie Einreise soll ohne biometrischen Pass möglich sein. Auch ohne Asylverfahren sollen Leistungen für Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt und das Arbeitsverbot ausgesetzt werden. Geflüchtete, bspw. aus Afghanistan und Syrien, die in der Ukraine zuvor Schutz gefunden haben, müssen ebenfalls aufgenommen werden.
- Die Bundesregierung soll Unterstützung und humanitäre Hilfe für Nachbarländer wie Polen, Rumänien, Ungarn und Slowakei zusagen und zugleich diplomatischen Druck ausüben, dass Fluchtwege offen gehalten werden. Menschen müssen Grenzen überschreiten dürfen. Neben finanzieller Hilfe für die Anrainer der Ukraine bedeutet dies auch logistische Unterstützung,z.B. um Aufnahmezentren mit Decken, Betten und Nahrungsmitteln auszustatten.
- Deutschland soll sich weiter für einen EU-Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge einsetzen und an die Solidarität aller Mitgliedsstaaten appellieren. Die Aufnahme von Geflüchteten darf nicht allein auf den Schultern der Nachbarstaaten liegen. Wichtig ist, eine schnelle Klärung des Schutz- und Rechtsstatus von Ukrainer*innen auf EU-Ebene herbeiführen. Dabei sollte die Bundesregierung die jüngsten Erkenntnisse aus der humanitären Aufnahme von Afghan*innen berücksichtigen.
- Die Bundesregierung soll finanzielle und logistische Unterstützung für humanitäre Hilfe innerhalb der Ukraine und für Binnenvertriebene sicherstellen. Bereits seit Beginn des Krieges in der Ostukraine leistet die deutsche Regierung humanitäre Hilfe. Die Mittel müssen nun dem steigenden Bedarf entsprechend aufgestockt werden. Logistische Unterstützung könnte in Form von Lebensmitteln, Nahrung, Benzin, Notstromaggregaten sowie Bargeld erfolgen, um Engpässe zu vermeiden.
- Die Wahrung des Völkerrechts und der Menschenrechte muss insbesondere in Kriegszeiten höchste Priorität haben. Neben dem Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet dies auch den Schutz ziviler Infrastruktur vor Angriffen und die Aufrechterhaltung des humanitären Zugangs. Angriffe auf lebensnotwendige Infrastruktur, z.B. im Gesundheitsbereich, haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Humanitäre Helfer*innen brauchen weiterhin Zugang zu Menschen in Not in der Ukraine. Deutschland muss entsprechenden diplomatischen Druck ausüben, um diesen Zugang aufrechtzuhalten.
Stefan Lehmeier, Stellvertretender Regionaldirektor Europäische Programme bei IRC, sagt:
„Besonders in Kriegszeiten müssen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht eingehalten werden. Der Schutz der Zivilbevölkerung sowie lebenswichtiger Infrastruktur muss oberste Priorität haben. Die Zerstörung eines Krankenhauses in Donezk, bei der vier Menschen getötet wurden, stellt einen direkten Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Die Bundesregierung, als EU- und NATO-Mitglied, muss hier weiterhin Druck ausüben. Es sind bereits erste wichtige Schritte zur humanitären Unterstützung und zum Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung eingeleitet worden. Aber es bedarf einer weiter gefassten Verpflichtung: zum einen für die Ukraine selbst und die Nachbarstaaten, zum anderen auch auf europäischer und deutscher Ebene, um die Verantwortung für die Aufnahme von Ukrainer*innen solidarisch zu verteilen. Es braucht ein weltweites Bekenntnis zur regelbasierten internationalen Ordnung und sowie zum humanitären Völkerrecht.”
Lani Fortier, Direktorin für Notfalleinsätze, International Rescue Committee, sagt:
„IRC ist im benachbarten Polen vor Ort, um die Situation und den humanitären Bedarf zu beurteilen, der mit der Ankunft flüchtender Ukrainer*innen gerade entsteht. Wir sind auf das Schlimmste vorbereitet und werden alles tun, um die Versorgung der am stärksten betroffenen Menschen zu unterstützen. Wir arbeiten daran, schnell Ressourcen zu mobilisieren und lebensrettende Hilfe zu leisten. IRC prüft gemeinsam mit Partnerorganisationen in Polen und der Ukraine, wie wir gemeinsam auf die schnell wachsende Zahl von geflüchteten Menschen und Menschen in Not reagieren können.”